1876 erblickte Amalia Katharina Adolfina Sprenger in Klüsserath an der Mosel am 15. April das Licht der Welt. Klüsserath ist ein kleiner Weinort in der Nähe von Trier. Die junge Amalia zog es weg. Sie wollte lernen und auf eigenen Füßen stehen. Ein Vorhaben wie es viele junge bürgerliche Frauen Ende des 19. Jahrhunderts hatten und das aber keineswegs selbstverständlich war. Die Frauen des Bürgertums wurden in der Regel von den Vätern an die Gatten weitergereicht. Mehr Spielraum blieb ihnen in der Regel nicht.

Die junge Amalia hatte anderes im Sinn und ging nach Karlsruhe, um Hauswirtschaftslehrerin zu werden. Seit 1883 bildete der fortschrittliche Badische Frauenverein an einer Haushaltungsschule junge Frauen aus und beherbergte sie im vereinseigenen „Heim für alleinstehende Damen“. Nach Abschluss ihres Examen nannte sich Amalia nun Amelie und zog nach Würzburg, um hier ihren Beruf ausüben.

Am 1.1.1900 begann ein neues Jahrhundert und für sie neues Leben als selbständige Frau in der Stadt am Main. Erst als Lehrerin an der Kochschule des Vereins Frauenheil, ab 1912 als deren Leiterin. Das Ziel des 1898 gegründeten Vereins Frauenheil war laut Vereinsregister „die Förderung höherer Bildung des weibl. Geschlechts und der Erwerbstätigkeit der auf eigenen Unterhalt angewiesenen Frauen“. Wie schon der Badische Frauenvereinsetzte sich auch der Würzburger Verein für das Menschenrecht auf Bildung für Frauen ein. Seine Aufmerksamkeit galt den Mädchen und Frauen des städtischen Bürgertums. Ob Chemielabor, Katheder oder Küchenstudio: Einer Frau sollten alle Wege offen stehen. Der Verein betrieb eine eigene Kochschule, eine Damenspeiseanstalt und bot Abendkurse mit Handarbeits- und Bügelunterricht an. Ab 1911 beriet eine vereinseigene Rechtsschutzstelle Frauen und Mädchen.

Nicht nur das Aufgabenfeld des Vereins Frauenheil wuchs – sondern auch die Zahl der Vereinsmitglieder. 1912 wird eine Frau Ludwig Deppisch als Mitglied gelistet. Dabei muss es sich um Sophie Deppisch, die Frau von Ludwig Deppisch (1872–1921), gehandelt haben. Er war der zweite Sohn von Johann Baptist Deppisch, dem Gründer des gleichnamigen großen Porzellan- und Haushaltswarenfachgeschäfts in Würzburg. Amelie Sprenger und die Firma J. B. Deppisch taten sich zusammen: Die ambitionierte Kochlehrerin suchte nach einer Gelegenheit, ihre Rezepte zu veröffentlichen und die Haushaltswarenfirma wollte ihren Warenkatalog aufwerten. Und so veröffentlichte die Firma J. B. Deppisch ca. 1913 eine Sammlung von 115 Original-Rezepten Amelie Sprengers. Sie enthielt ausschließlich Rezepte für feine Backwaren, Desserts und Vorratshaltung, die den jeweils dafür benötigten Haushaltswaren zugeordnet waren. Für jede Form gab es den passenden Kuchen. Das Buch war Warenkatalog und Kochbuch zugleich. Die Zusammenarbeit zwischen Amelie Sprenger und der Firma Deppisch war ein Zeugnis des innovativen bürgerlichen Unternehmergeists der Kaiserzeit und bestand bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts.

115 Original Rezepte von Amelie Sprenger, hg. von J. B. Deppisch, Würzburg 1913

Ein Jahr nach Erscheinen des Kochbüchleins wanderte es schon wieder in die Schublade. Der Erste Weltkrieg forderte ein anderes, sparsames Kochen. Lebensmittel wurden knapp und Amelie Sprenger lernte schnell, sich umzustellen. Sie bot in der Kochschule Kriegs-Kochkurse an und schrieb im Würzburger Generalanzeiger Ratschläge und Rezepte zur Ernährung im Krieg. Bereits im März 1915 veröffentlichte sie zusammen mit der Firma Deppisch das Heftchen Kriegs-Küche im Haushalt, ein Speisezettel für vier Wochen mit Rezepten. Die umfangreiche Rezeptsammlung Kriegs-Kochkurse erschienen Anfang 1916 und dokumentierte die in den Kursen erprobten Rezepte. Als Mitte 1916 die erste Suppenküche in Würzburg eröffnete, gehörte Amelie Sprenger zu den Verantwortlichen. Die Stadt Würzburg verlieh ihr dafür das König-Ludwig-Kreuz, eine Auszeichnung für zivile Dienste zu Kriegszeiten.

Nach dem Krieg reaktivierte Sprenger 1924 die geschlossene Kochschule des Vereins Frauenheil, diesmal unter ihrem Namen Amely Sprenger Kochschule. Als Lehrmittel und Warenkatalog erscheint eine leicht aktualisierte Vorkriegsrezeptsammlung Original-Rezepte. 1934 publizierte sie ein weiteres Kochbuch: 30 deutsche Eintopfgerichte. Kochanweisungen aus der Lehrküche und reagiert damit wie schon bei den Kriegs-Kochkursen auf die politische Lage: Seit September 1933 war jeder erste Sonntag im Monat ein verordneter Eintopfsonntag und für ihn brauchte man die entsprechenden Rezepte.

Original Rezepte von Amely Sprenger, hg. von J. B. Deppisch, Würzburg 1926

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg werden ihre Backrezepte geschätzt und erscheinen als dünne Hefte in der Reihe Backen macht Spaß. Mittlerweile ist Sprenger über 70 Jahre alt und schreibt unermüdlich weiter – u.a. für die Frauenseite der Main Post. Zu ihrem 80. und 85. Geburtstag wird sie in Zeitungsartikeln gefeiert und der Würzburger Oberbürgermeister bedenkt sie mit Glückwünschen. Amely Sprenger stirbt am 9. April 1962 in Würzburg mit fast 86 Jahren.

Über ihr Privatleben ist wenig bekannt. Sie war protestantisch, ledig und variierte ihren Vornamen nach der Mode: Amalia – Amelie – Amely. In ihren ersten Würzburger Jahrzehnten wohnte sie in der Bohnesmühlgasse 7 im zweiten Stock. Nach dem Tod des Vaters zog ihre Mutter noch in der Kaiserzeit zu ihr nach Würzburg. Das Ende des Ersten Weltkriegs und die ersten Nachkriegsjahre erlebte Sprenger in Neustadt an der Weinstraße, wo sie einige Zeit ebenfalls eine Kochschule betrieben haben soll. 1924 kehrte sie an den Main zurück. In einem Brief erwähnt sie den Tod des Bruders 1955. Amely Sprengers Grabstätte liegt nicht in Würzburg. Da die Stadt zu der Zeit über kein Krematorium verfügte, erfolgte die Einäscherung am 16. April 1962 auf dem Nürnberger Westfriedhof und am 9. Mai 1962 die Überführung der Urne nach Neustadt an der Weinstraße. Hier endet ihre Reise.

In einem April begann und endete das Leben der Würzburger Kochlehrerin und Kochbuchautorin Amely Sprenger: Am 9. April 2022 ist ihr 60. Todestag und am 15. April ihr 146. Geburtstag. Amalia – Amelie – Amely: Drei Namen eine Frau. Eine Frau, die ihr Leben in die Hand nimmt und ihren Weg geht. Ein Weg, der sie von der Mosel an den Main führt, vom heimatlichen Dorf weg in die Unabhängigkeit. Für eine Frau im beginnenden 20. Jahrhundert betritt sie Neuland. Heute würde man es Selbstermächtigung nennen.

Quellen: 
Frauen in Würzburg. Stadtführer und Lesebuch, hg. von Stadt Würzburg, Echter Verlag 1996
Luber, Gerhard / Maas, Rainer: Kleine Welt und Großer Krieg. Der Erste Weltkrieg, Würzburg und das Alte Gymnasium, Würzburg Königshausen & Neumann 2018.
Kochen im Ersten Weltkrieg. Drei Kriegskochbücher aus Bayern, hg. von Regina Frisch, Würzburg Königshausen & Neumann 2018.