Censuren Buch … das Wort weckt wohl bei den meisten unangenehme Erinnerungen. Sehr gut bis ungenügend lautete die Skala in meiner Schulzeit. Und manche Notenausgabe verursachte Schweißausbrüche. Mit Censuren ist es mit vielem, das länger zurück liegt, es verliert seinen Schrecken. Erst recht, wenn es nicht um die eigenen Censuren geht.

2013 durfte ich im Rahmen meines Projekts „Die Geschichte des Bayerischen Kochbuchs“ das Schularchiv der BSZ – Berufsfachschule Miesbach – nutzen. Ich suchte nach Unterlagen aus der Gründungsphase der Schule. Einer Zeit, in der das BSZ noch Wirtschaftliche Frauenschule auf dem Lande hieß. Ich habe so Einiges gefunden, u.a. ein Censuren-Buch der Seminaristinnen. Von 1904 bis 1912 wurden dort die Personalien der Seminaristinnen und ihre Noten erfasst.

In den ersten Spalten steht die Beurteilung von Anlagen – Betragen – Fleiß. Anlagen: Wie wurden die beurteilt? Gab es einen IQ-Test? Im Anschluss kann man die Noten der Unterrichtsfächer lesen:

Haushaltungskunde mit den Teilfächern: Haushaltungskunde, Methode der Haushaltungsk[unde] theor[etisch], Buchführung, Hausarbeit, Handarbeit, Waschen und Bügeln.
Kochen: Kochfertigkeit, das zweite Teilfach ist unleserlich.
Nahrungsmittel- u. Gesundheitslehre: Nahrungsmittellehre, Gesundheitsl.
Küchen und Hausgarten: Küchen und Hausgarten theor[etisch], Küchen und Hausgarten pr[aktisch], Botanik.

Geflügel und Bienenzucht: Geflügelz[ucht] theor[etisch], Geflügelz[ucht] pr[aktisch], Bienenz[ucht] theor[etisch], Bienenz[ucht] pr[aktisch].
Lehrprobe: in der hauswirtschaftl. Theorie, in der Praxis

In jedem Teilfach wurden Einzelnoten vergeben, zusammen ergaben sie eine Hauptnote in dem Fach und am Ende die Gesamtnote. Die Ausbildung der Seminaristinnen dauerte zwei Jahre. Sie liegen ausgebreitet vor uns in diesen Notenbögen des Censurenbuchs. Am Ende der fortschrittlichen Berufsausbildung der Seminaristinnen standen die Berufsbilder Hauswirtschaftslehrerin und Hausbeamtin. Ein Novum Anfang des 20. Jahrhunderts. Zu einer Zeit, in der Frauen ohne Ausbildung im Haus, auf den Feldern oder in den Fabriken schufteten. In Geiselgasteig ab 1904 und ab 1909 in Miesbach wurde ein Stück bayerische Bildungsgeschichte geschrieben. Vorbild waren die kurze Zeit vorher entstandenen Wirtschaftlichen Frauenschulen in Nieder-Ofleiden, Reifenstein und Obernkirchen des Reifensteiner Verbands.
Wer besuchte diese Schulen? Was waren das für Frauen? „Die Schülerinnen der Frauenschule Geiselgasteig/Miesbach stammten bis zum Ersten Weltkrieg nahezu vollständig aus gehobenen, oft städtischen Kreisen. Dies verdeutlichen die Eintragungen im ‚Maidenbuch‘, das 1910 vom Reifensteiner Verband herausgegeben wurde. Darin enthalten sind ausführliche Listen, die ‚der Maiden Namen und weiteren Lebensgang von 1897 bis 1910‘ aller Wirtschaftlichen Frauenschulen im Deutschen Reich aufführen“ (Wohlfart, S. 53). Erfasst wurden in diesem gesamtdeutschen Maidenbuch ‚Name‘, ‚Stand des Vaters‘, ‚Wohnort‘, ‚Berufsausbildung‘, ‚jetzige Lebensstellung‘.

Die Angaben im Maidenbuch ähneln denen des Miesbacher Censuren Buchs im Schularchiv. Die Fragen zur Berufsausbildung und jetzigen Lebensstellung gab es freilich nicht. Die Frauen waren noch mittendrin in der Berufsausbildung und hatten sicher z.T. große Ziele.

Name, Geburtszeit und Ort, Stand der Eltern und – anders als im Maidenbuch auch – Religion wurden als persönlichen Angaben der Seminarstinnen im Censuren Buch erfasst. Stand der Eltern bedeutete natürlich „Stand des Vaters“.

In der „Biografie eine Kochbuchs“ habe ich ein fiktives Interview mit Olga Mooyer, der Leiterin der Wirtschaftlichen Frauenschule auf dem Lande in Geiselgasteig und Miesbach von 1903 bis 1916, geführt. Ich befrage sie zu den Einträgen aus diesem Censuren Buch.
Regina Frisch Ich habe die Censurbücher der ersten Jahre gelesen und kann die strenge Notengebung bestätigen. Neben den Zensuren wurden in den Büchern auch Name, Geburtsjahr und Ort, Stand der Eltern und Religion notiert. Die Schülerinnen gehörten – wie Sie sagten – der ersten Gesellschaft an: Ihre Väter waren Professoren, Fabrikbesitzer, Ärzte, königliche Oberamtsrichter. Sie kamenaus Karlsbad, Luckenwalde, Metz, Windisch-Feistritz – heute Slovenska Bistrica –, Hamburg, München, Magdeburg oder Krumbach nach Miesbach. Ihre Weltanschauung – ob überhaupt und wenn ja, welche Religion oder Konfession sie hatten – spielte offensichtlich keine Rolle: Die jungen Frauen waren evangelisch, katholisch, israelitisch, frei religiös.
Olga Mooyer Das ist richtig. Die Schülerinnen kamen von weit zu uns. Bayern war damals liberal, nicht preußisch streng. Es war das unausgesprochene Alleinstellungsmerkmal – so würden Sie doch sagen – des Bayerischen Vereins für Wirtschaftliche Frauenschulen, keine konfessionellen oder weltanschaulichen Vorgaben zu machen. Das unterschied den bayerischen Verein vom weitaus größeren preußischen Reifensteiner Verband, der protestantisch geprägt war. Bedenken Sie, dass den wunderschönen Schulprospekt Carry Brachvogel geschrieben hat, die bekannte jüdische Schriftstellerin aus München. Sie starb betagt 1942 in Theresienstadt. Wie Ika Freudenberg und Anita Augspurg war sie Mitglied des Münchner Vereins für Fraueninteressen. So verschieden diese Frauen waren, ihr Bemühen um die Selbstbestimmung ihrer Geschlechtsgenossinnen einte sie.
RF Aber – wie ging das zusammen mit dem Schulprotektorat der Prinzessin Maria Gabriele von Bayern?
OM In Bayern vor dem Ersten Weltkrieg ging das zusammen. Das Protektorat übernahm die Prinzessin erst 1910. Da hatte sich die Schule bereits sieben Jahre bewährt. Das Ziel war, pathetisch gesagt, das Menschenrecht auf Bildung für Frauen. Dass die Kreise, die es vertraten, nicht Umsturz im Sinn hatten sondern Teilhabe an Rechten und Pflichten, war für aufgeschlossene Geister offensichtlich. Und von diesen gab es damals nicht wenige“
(Frisch, 2021, S. 31).

Die Wirtschaftliche Frauenschule auf dem Lande in Bayern war demnach im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens eine Bildungseinrichtung, die offensichtlich keine konfessionellen Schranken kannte. Angehörige christlicher Konfessionen, jüdische Frauen und Konfessionslose – alle waren willkommen.

Das Format der Wirtschaftlichen Frauenschulen war erfolgreich, viele weitere Schulgründungen gehen darauf zurück. Auch die des Jüdischen Frauenbunds in Wolfratshausen 1926 gegründete gleichnamige Frauenschule. Sie entsprach fachlich ganz den anderen Wirtschaftlichen Frauenschulen, wurde aber aufgrund des immer bedrohlicher werdenen Antisemitismus in den 20er Jahren bald zu einer „Oase des Friedens“ für Schüler- und Lehrerinnen – bis sie 1938 geschlossen wurde (Krafft 2009).

Literatur: