Mein erstes Mal. Das erste Mal, dass ich einen Hühnerstall ausgemistet habe. Wir wohnen bei Sandra Åslund in einem hübschen Häuschen in Schweden und genießen es. Im Garten vergnügen sich vier Hühner, die einen Stall bewohnen, bzw. nachts in ihm schlafen. Tagsüber streunen sie durch den Garten und fangen Grashüpfer. Einmal in der Woche wird ihr Stall ausgemistet und diesmal war ich dran.
Dabei musste ich an die Wirtschaftlichen Frauenschulen auf dem Lande denken, die Anfang des 20. Jahrhunderts in Deutschland entstanden. Man hatte sich zum Ziel gesetzt, jungen Frauen aus Bürgertum und Landadel eine Berufsausbildung zu ermöglichen. Sie sollten lernen, wie man einen Haushalt führt und dieses Wissen als Lehrerin weitergeben oder als Hausbeamtin anwenden. Heute würde man von einer Fachfrau für Ernährungsmanagement sprechen. Zum Lehrplan gehörte nicht nur Kochen, Putzen, Waschen, Bügeln, Nähen, sondern auch Gartenbau, Bienenzucht und Geflügelhaltung. Ein umfassendes Knowhow, das den jungen Fauen vermittelt wurde.
Nach der Ausbildung waren sie gut ausgebildete Fachkräfte, die einen ländlichen Haushalt führen konnten – wo auch immer. Das war auch der Grund, warum man auf die Idee kam, die Wirtschaftliche Frauenschule in Bad Weilbach (bei Wiesbaden) 1911 um den Ausbildungszweig einer kolonialen Frauenschule zu erweitern.
Der erste Versuch einer solchen Schule in Witzenhausen (Nordhessen) scheiterte. Die dortige Deutsche Kolonialschule für Landwirtschaft, Handel und Gewerbe erhielt 1907 einen eigenen Frauenzweig. Kompetenzstreitigkeiten zwischen den Leiterinnen der kolonialen Frauenschule und dem Leiter der Deutschen Kolonialschule Ernst Albert Fabarius und dessen rigide Moralvorstellungen (Studentinnen und Studenten durften keinen Umgang miteinander haben) waren der Grund für den Misserfolg der Frauenschule.
In Bad Weilbach machten man einen zweiten Versuch. Die Koloniale Frauenschule dort bestand von 1911 bis 1915. Junge Frauen wurden mit dem Ziel ausgebildet, deutsche Kultur in die deutschen Kolonien zu tragen. Die Sorge, dass sich deutsche Kolonisten mit einheimischen Frauen verbinden würden, war groß. Rouladen kochen und für deutschen weißen Nachwuchs sorgen, das wurde von den Absolventinnen der kolonialen Frauenschulen erwartet.
Und was hat das alles mit dem Hühnerstall zu tun?
2011 sah ich im Würzburger Johanna-Stahl-Zentrum eine Wanderausstellung des Historischen Vereins Wolfratshausen (bei München) zu einer weiteren Wirtschaftlichen Frauenschule auf dem Lande. Die Wolfratshausener Schule existierte von 1926 bis 1938 und war eine Einrichtung der Münchner Ortsgruppe des „Jüdischen Frauenbundes“. Die Ausbildungsstätte für jüdische junge Frauen wurde in den Jahren des Nationalsozialismus zum Zufluchtsort. Die meisten der lebenspraktisch ausgebildeten Schülerinnen konnten von dort aus nach Palästina, Australien oder in die USA fliehen. Für die Ausstellung und deren Dokumentation wurden sie Ende des 20. Jahrhunderts aufgesucht und interviewt. Im Johanna-Stahl-Zentrum konnte man sich die gefilmten Interviews ansehen. Ich erinnere mich an eine Dame, die eine Anekdote vom Ausmisten des Hühnerstalls in Wolfratshausen erzählte. Jemand war auf die Idee gekommen, die Hühner mit Dickmilch zu füttern … wovon sie Durchfall bekamen … und dementsprechend aufwändig musste der Stall gereinigt werden.
Das fiel mir beim Ausmisten des hiesigen Hühnerstalls wieder ein. Die Hühner hier bekommen ausschließlich Körnerfutter und Wasser. Die Aktion war also ein Klacks.
Lit. u.a.
Elke Harnisch: Die progressive Etablierung kolonialen Wissens im Aus- und Weiterbildungssektor des Deutschen Reiches zwischen 1884 – 1914, Diss. Köln 2015.
Dörte Lerp: Zwischen Bevölkerungspolitik und Frauenbildung. Die Kolonialfrauenschulen in Witzenhausen und Bad Weilbach, in: Bechhaus-Gerst, Leutner (Hg.), Frauen in den deutschen Kolonien, Berlin 2009, S. 32-39.
Kirsten Jörgensen, Sybille Krafft: „Wir lebten in einer Oase des Friedens …“. Die Geschichte einer jüdischen Mädchenschule 1926-1938, München 2007.