Er war der Vaters des Bayerichen Kochbuchs – so wie wir es heute kennen. Aus dem gelben Entlein wurde dank ihm ein blauer Schwan.

Im Hauptberuf war Helmut Lydtin Arzt. Nach dem Studium der Medizin erwarb er sich frisch promoviert Meriten in den USA, kam zurück in die Bundesrepublik Deutschland, habilitierte und wurde nach kurzer Zeit Chef des Klinikums Starnberg und blieb es über viele Jahrzehnte. Den Arztberuf aufzugeben fiel im auch nach seinem Ausscheiden in Starnberg schwer und so praktizierte er bis ins hohe Alter weiter.

Helmut Lydtin im Gespräch mit Ingrid Pongratz in Miesbach 2014, copyright Isabella Krobisch

Aufgewachsen ist Lydtin im Küchendunst des Bayerischen Kochbuchs. Als Kind erlebte er mit, wie seine Mutter, die überzeugte Nicht-Köchin und Kinderärztin Ermelinde Lydtin, Rezepte und Diätvorschriften für das Kapitel Krankenkost im Bayerischen Kochbuch schrieb. Seine Tante Maria Hofmann hatte 1933 das Kochbuch des Bayerischen Vereins für Wirtschaftliche Frauenschulen grundlegend überarbeitet. Fortan hieß es Bayerisches Kochbuch. Maria Hofmann warb ihre Schwester für das Kochbuch und ab der 18. erweiterten Auflage von 1947 hieß es im Vorwort: „für die Bearbeitung des Abschnitts Krankenkost danke ich Frau Dr. med. E. Lydtin“.

Der junge Helmut Lydtin hatte andere Dinge im Kopf als Kochen. Doch als er bei seinem zweijährigen Aufenthalt in den USA begann, sich selbst zu versorgen, bat er um ein Exemplar des Bayerischen Kochbuchs. 1963 kam er zurück und machte als Arzt Karriere, während das Kochbuch stagnierte. Doch Ende der 60er Jahre startete er gemeinsam mit seiner Tante die notwendige Überarbeitung des gelben Entleins.

Damals war Maria Hofmann dankbar für jugendliche Unterstützung und Ideen. Wie zu erwarten nahm er sich der Krankenkost an und schrieb das Kapitel nach den aktuellem Stand der Medizin neu. Hinzu kam ein neues Einleitungskapitel von ihm: Gesunde Ernährung. Aber damit hatte es nicht sein Bewenden. Er brachte seine Tante, die Dozentin am Staatsinstitut für landwirtschaftlichen Unterricht, dazu, den Rezeptteil gründlich zu überarbeiten. Ein neuer Wind zog in das Kochbuch und mit ihm in viele Küchen Bayerns ein. Nun wurde Schaschlik gegrillt, Curryreis und Tomaten-Chutney gekocht, Hollywoodcocktail gereicht, Pizza und Hawaii-Toast gebacken und auch Drinks gemixt. Rezepte für Aperitifs, Cocktails, Cobblers, Fizzes, Crustas, Flips und Sorbets kann man seit der 40. Auflage von 1971 im Bayerischen Kochbuch nachlesen. Aber trotz dieser zeitgemäßen neuen Rezepte waren sich Tante und Neffe einig, die bewährten Rezepte im Kochbuch zu belassen. Auf diese Weise konnte man neue Fans gewinnen ohne die alten zu verlieren.

Freilich gewann das Buch dadurch an Umfang. Das stellte neue Anforderungen an Design und Layout. Helmut gewann seinen Freund, den Graphiker, Bühnenbildner und Verleger Eduard Marwitz, das Bayerische Kochbuch neu zu gestalten. Wie Helmut Lydtin ein Jungbrunnen für den Inhalt des Kochbuchs war, wurde es Eduard Marwitz für die Form. Der optische Markenkern blieb erhalten: der Schriftzug, den Emil Preetorius 1933 gestaltet hatte. Nun aber erstrahlte das Bayerische Kochbuch in Blau und in einem ungewöhnlichen, fast quadratischen Format, das auch noch heute markant ins Auge fällt. Der Relaunch wurde ein voller Erfolg.

Ab 1971 stehen auf dem Titelblatt zwei Namen untereinander: Maria Hofmann und Helmut Lydtin.

Bayerisches Kochbuch, hier die 53. Auflage von 1986

Im Frühjahr 2013 traf ich Helmut Lydtin zum ersten Mal. Wir waren in einem Münchner Biergarten in der Nähe seiner Praxis verabredet. Die Philologin, die plante, die Geschichte eines Kochbuchs zu erzählen, begegnete dem Arzt und Kochbuchautor. Ich erinnere mich gut an das lange Gespräch, in dem er mir viele Anekdoten zum Bayerischen Kochbuch erzählte. Von seinen Versuchen Laugenbrezeln in den USA selbst zu backen, von den Karteikarten, auf denen seine Tante Maria Hofmann die Rezepte notiert hatte und die er überführte in eine Datenbank, von nächtlichen Anrufern, die sich über den Rezeptnamen Türkenblut für eine Rotweinbowle beklagten – er hat es in die folgenden Auflage in Tulpenblut umbenannt; pfiffig, denn die Position im Register blieb unverändert. Und vieles mehr.

Helmut Lydtin hat ein Doppelleben geführt. Hier der Arzt aus Überzeugung und da der Kochbuchautor aus Familientradition. Ich kannte ihn nur in der zweiten Rolle – er hat sie bravourös gespielt.

Nun wird er diesen Advent seine Lieblingsplätzchen nicht mehr essen können: Falsches Butterbrot in der aktuellen Auflage die Nr. 1541. Helmut Lydtin ist am 3. November 2022 im Alter von 86 Jahren verstorben.