Ein Neuzugang in meinem Kochbuchregal:
Neues Praktisches Kochbuch für die bürgerliche Küche
von Hertha Walter, 5. Auflage erschienen im Ad[am] Spaarmann Verlag Styrum s. d. Ruhr und Leipzig, 248 Seiten, Maße 12 x 17 cm.
Zum Zustand: Dem Exemplar fehlt das Vorsatzpapier. Außer einem Kreuz mit Bleistift beim Rezept Ochsenschwanzsuppe finde ich keine handschriftlichen Einträge im Kochbuch, aber an 2 Seiten wurden sehr sorgsam handschriftliche Rezepte eingeklebt (im Bild: Anisplätzchen).
Einen konkreten Hinweis auf den Druck und das Alter des Buches, wie z. B. ein Datum, finde ich nicht.
Es ist ein typisches bürgerliches Kochbuch, das in seinem Vorwort die Kunst des Kochens eine der wichtigsten Pflichten der Frau nennt. Strengste Reinlichkeit, bedachte Überlegung und Sorgfalt erwartet die Kochbuchautorin beim Kochen von der Hausfrau. Zudem sei wichtig, die Qualität der Nahrungsmittel beurteilen zu können. „Um der Hausfrau diese wichtige Aufgabe zu erleichtern, welche von so großem Einfluß auf die Gesundheit und den Wohlstand der Familie ist, wollen wir im nachfolgenden die wichtigsten Eigenschaften der gebräuchlichsten Nahrungsmittel angeben.“ Diese Nahrungsmittel teilt sie in sieben Kapitel ein:
I. Brot
II. Mehl
III. Fleisch
IV. Fette
V. Fische
VI. Kolonialwaaren
VII. Hülsenfrüchte und Gemüse
Ich stutze: Kolonialwaren als Nahrungsmittel gelistet, habe ich bisher noch nicht gefunden. Die Schreibung ist mir ein Hinweis auf das Alter des Kochbuchs: Kolonialwaaren. 1902 erschien das erste „Orthografische Wörterbuch“ von Konrad Duden. Mit ihm trat eine Vereinheitlichung vieler Schreibweisen ein. Eine grafische Markierung des langen a in Waren war nicht vorgesehen, kein aa oder ah. Martha Walter oder der Buchdrucker schreibt aber Kolonialwaaren – das Buch ist demnach vor 1900 zu datieren.
Welche Kolonialwaren werden genannt?
a) Kaffee. Der Abschnitt beschränkt sich nicht auf die Empfehlung Mokka-, Burbon- oder Javakaffee zu kaufen und die Kaffeebohnen selber zu brennen, sondern stellt auch günstige Ersatzstoffe vor: Roggen-, Gersten- und Eichelkaffee. Dass es sich dabei nicht um Kolonialwaren handelt, bleibt unerwähnt. Der Hinweis ist wie eine Fußnote im Text zu lesen, die der Pragmatik des Kochbuchs folgt. Wo, wenn nicht hier, ist der Ort auf diese Surrogate hinzuweisen.
b) Reis. Als zu empfehlende Qualitäten werden genannt: Karolina-Reis, Java-Reis und Tafelreis. Im Vergleich zum Weizen sei Reis nicht besonders nahrhaft, meint die Autorin.
c) Pfeffer. Es gibt weißen und schwarzen Pfeffer. Bei gemahlenem Pfeffer ist Vorsicht geboten: „Er wird häufig gefälscht“.
d) Muskatnuß. „Gute Muskatnüsse müssen schwer, ohne Wurmstiche und gehörig voll, von außen glatt und grau, inwendig gelb mit braunen Adern sein“.
e) Muskatblüte. „Die beste ist hell.“
f) Zimt (Kanel). Am Besten sei der Ceylon-Zimt und auch hier wird vor Fälschungen bei gestoßenem gewarnt.
g) Gewürznelken. Die getrockneten Blumenknospen einer indischen Pflanze, die ihrer Form wegen auch Nägelchen genannt werden. „Sie müssen einen beißenden, aromatischen Geschmack haben.“
h) Korinthen müssen schwarzbläulich, rund, trocken und süß sein.
Mir fällt auf, dass ein Hinweis auf Waren aus deutschen Kolonien hier fehlt. Ein weiterer Aspekt, der für eine Datierung vor 1900 spricht. Kaffee aus den deutschen Kolonien Namibia (Deutsch-Südwestafrika) und Tansania (Deutsch-Ostafrika) war zur Zeit dieses Kochbuchs noch nicht im Handel. Der Kolonialismus dient als Datierungshilfe für Kochbücher: Die Zeit hinterlässt überall ihre Spuren. Kochbücher erzählen Kulturgeschichte.
Und schon bin ich auf den ersten Seiten des schönen kleinen Kochbuchs hängen geblieben. Ein Blick in folgende Kapitel, z.B. die „Kartoffelspeisen“ zeigt, dass mich anspruchsvolle und vielseitige Rezepte erwarten Kartoffeln à la créme, Kartoffeln auf italienische Art, Kartoffeln à la maitre d’hotel usf.