Kochbuch. 1916
So kocht man gut und billig
für 3 Personen um eine Mark

Ein Kriegskochbuch von Elly Petersen
Der Gelbe Verlag Dachau 1916
Schrift Fraktur
ca. 12×18 cm, kartoniert, Umfang 287 S.
Standort Stadtarchiv Hof
Signatur 8° A 3133

Auch Vaterlandsliebe geht durch den Magen.

 Hunger ist der beste Koch
  - der Krieg ist ein viel bessrer noch. 
 Trocken Brot und magerer Brei
  - schafft den fettesten Sieg herbei! 

Mit diesen und anderen flotten Sprüchen motivierte Elly Petersen ihre Leserinnen und Leser im Ersten Weltkrieg. Ihr aufwendig gestaltetes Kriegskochbuch fällt aus dem Rahmen.

Wo andere Kriegskochbücher – und deren gab es viele in diesem Krieg – gute Ratschläge und 100 Rezepte zusammenstellen, sind es bei Petersen fast 1000. Wo Andere Speisevorschläge für 14 Tage oder 4 Wochen bieten, sind es bei ihr 365 Mittag- und Abendessen! Wie ein Kalendarium führt der Speisezettel durch das Jahr, von Januar, dem Eismonat, bis Dezember, dem Christmonat. Und wo andere Kriegskochbücher die deutsche Hausfrau moralisch unter Druck setzen, animiert dieses mit heiterem Gleichmut. Für Elly Petersen scheint die prekäre Ernährungslage im Ersten Weltkrieg eine Herausforderung zu sein, die sie gerne annimmt.

Nach den vielen Seiten Speisezettel folgen fünf Kapitel Rezepte: Suppen, Gemüse, Fisch, Mehlspeisen und Fleisch. Fleischgerichte spielen kriegsbedingt eine untergeordnete Rolle. Petersen kocht pragmatisch mit dem, was zur Hand ist. Gerne eigene Gartenerzeugnisse aber auch Fertigsuppen sind willkommen, um satt zu werden. Eine häufig belegte Mengenangabe in ihren Rezepten lautet Reste von ….

Elly Petersen (1874-1965), geborene Leßer, verwitwete Hirschfeld, geschiedene Hirschfeld, lebt ab 1910 mit ihrem frisch angetrauten Ehemann, dem Maler Carl Olaf Petersen, bei Dachau in der Nähe von München. Ihr geschiedener Mann, Georg Hirschfeld, den sie nach dem Tod ihres ersten Mannes und Georgs Bruder, Julius Hirschfeld, geheiratet hat und den sie wegen Petersen verließ, hat ihr das frisch renovierte Gut Moosschwaige überlassen. Die Petersens gehören zur Dachauer Künstlerkolonie. Die Münchner Hautevolée, unter ihr Thomas Mann, fährt zu ihnen aufs Land. Elly liebt ihren Garten mit Blumen, Gemüse und Kräutern. Das merkt man ihrem Kriegskochbuch an.

Zum Osterfest kocht sie zwei Suppen. Die eine mit Erdbeer-, Schafgarben-, Veilchen und Gundermannblättern und die andere mit Löwenzahn, Brennessel, Sauerampfer, Pimpinelle, Gänseblümchen, Schafgarbe und Waldkörbel. Man muss schon kräuterfest sein, um die Zutaten zusammenzustellen. Die gebürtige Berlinerin aus wohlhabender Kaufmannsfamilie ist auf dem Land angekommen. Ihre Küche ist freilich bürgerlich-städtisch, was man der Vielzahl an nuancierten Rezepten anmerkt. Im Ersten Weltkrieg ist der kriegsbedingte Mangel an Lebensmitteln für Elly Petersen eine Herausforderung, die sie inspiriert. Der Mangel an Menschenwürde im nationalsozialistischen Deutschland zwingt die Jüdin zu fliehen.

Heute ist es schick, from leaf to root zu kochen; Elly Petersen experimentiert in Notzeiten mit den Erzeugnissen ihres Gartens. Im Rezept Nr. 326 verkocht sie Rhabarberblätter zu Gemüse. Eine Verwendung, die mir bisher nur mündlich bestätigt wurde. Einen weiteren schriftlichen Beleg kenne ich nicht:

Rhabarberblätter als Spinat

Die Rhabarberblätter werden von den Stielteilen befreit, in Salzwasser abgekocht, durch die Maschine [= Fleischwolf] getrieben und wie Spinat behandelt.

Kochbuch. 1916, Nr. 326

Quelle der biografischen Angaben: Ottilie Thiemann-Stoedtner (1979)