Kochbücher erzählen Geschichten. Geschichten von Rezepten, von Zutaten, von Zeitläuften und Menschen. Besonders Kochbücher, die als Familienschätze bewahrt werden. Manche liegen in der Schublade, und gelegentlich sehen sie das Tageslicht und jemand versucht die alte Schrift zu entziffern, bevor sie wieder vorsichtig verpackt ihren Platz im Dunkeln finden. Andere werden über Jahrzehnte und Generationen benutzt und schmücken sich mit immer neuen Fettflecken.

Das Kochbuch, das Rufina Hain beim Räumen gefunden hat, birgt ein Familiengeheimnis. Koch-Recepte steht in goldenen Buch­staben auf dem braun marmorierten leinengebundene Buch. Es misst 17 x 21 x 2,5 cm mit ca. 180 unnummerierten Seiten und wurde blanko laut Aufkleber in einem Karlsruher Papiergeschäft gekauft.

Ein vorgedrucktes Register mit 11 Kapiteln sorgt für Ordnung in den einzutragenden Rezepten: Suppen, Wildbret, Fische, Gemüse, Braten, Plätzli, [ohne Namen], Salate, Compote, Süße Speisen, Kuchen.

Manche verlorenen Kapitel-Aufkleber wurden handschriftlich ersetzt.
Das Kochbuch beginnt mt 71! Rezepten für Suppen und Suppenein­lagen. Fleischbrühe, Wurzelbrühe, Selleriesuppe – so heißen die ersten Einträge. Die Griesschwämmchen müssen besonders gut ge­schmeckt haben, denn das Rezept trägt ein Ausrufezeichen ! neben dem Titel. Das Kapitel endet mit zwei süßen Suppen: Apfel- und Weinsuppe. Später lässt der Eifer nach: Rezepte für Fische, Gemüse und Süßen Speisen sucht man vergeblich. Unter Wildbret wird alles vom Reh verarbeitet: Rehrücken, -schlegel, -bug, -nüßchen, -koteletten, -ragout. Im Kapitel Braten ste­hen allerdings keine großen Braten, sondern kleine Gerichte wie Fleischröll­chen, Wiener Brathähnchen, Hirn nach Wiener Art, Prisoletts undSchweinskottelets á la Robert! Das Rezept lautet:

Die Kottelets werden geklopft, gesalzen, gepfeffert in Mehl getaucht u. in frischem Schmalz gebraten, dann legt man sie in eine Pfanne. Dann macht man eine dunkle Einbrenne, füllt mit Fleischbrühe nach daß es eine braune Sauce gibt u. tut ein wenig Senf dazu. Dann gießt man sie über die Kottelets u. läßt sie dämpfen. Beim Anrichten bestreut man sie mit fein­gewiegten [!] Eigelb u. Essiggurken.

Das Plätzli-Kapitel bringt eine Überraschung: eine neue Handschrift! Im ganzen Buch sind es vier verschiedene: 1) Die Schrift der meisten Rezepte ist Kurrent/Sütterlin mit Tinte. 2) Mit Kugelschreiber und einer großen Schrift wurden u. a. die Schokoladenplätzchen eingetragen. 3) Apfelkuchen ist ebenfalls mit Kuli in einer runden Schrift geschrieben. Die Handschrift 4 ist klein und u.a. für die letzten beiden Einträge im Kochbuch verantwortlich: Zwiebelplatz und Pizza. Kuchen sind in allen vier Handschriften eingetragen: vom weih­nachtlichen Butterteig und Kindbettbrot über den Käsekuchen bis zum Rehrücken. Backen verbindet Generationen.

Wie sehr sich das Essverhalten seit der Entstehungsphase geändert hat, zeigen die fünf Salatrezepte im Vergleich zu den erwähnten 71 Suppen. Mitte des letzten Jahrhunderts genügten für die Abwechslung Lauchsalat, Gelb­rübensalat, Selleriesalat, Roterübensalat und Weißkrautsalat. Rohkost waren sie alle nicht – das Gemüse wurde vor dem Marinieren gekocht.

Das Kochbuch gehörte zu einem bürger­lichen Haushalt, in dem Wert auf ein ge­sellschaftliches Leben gelegt wurde. Neben den Suppen, als typische Vorspeisen, findet man einige sehr feine Nachspeisen: Souf­flierte Orangen, zwei Rezepte für Engli­sche Puddings und eine Charlotte Ruße!

6 Eigelb werden mit 6 Löffel Zucker u 1 Eßlöffel Mehl fest gerührt 1 1/2 Schoppen gute kalte Milch das gehakte Mark von 1/2 Stange Vanill. Ist alle gut gemischt kommt es aufs Feuer u. 5-6 Blatt Gelatine hinein. Dann wird es solange gerührt bis es anfängt dick zu werden dan durch ein Haarsieb in eine Schüssel gegossen

Welcher Teil der Familiengeschichte verbirgt sich hinter dem Kochbuch?

Die meisten Rezepte des Kochbuchs sind von einer Hand geschrieben und betreffen gutbürgerliche Gerichte. Rufina Hains Großtante, Margarethe Laubmeister (1883 Theilheim – 1972 Würzburg), eine geborene Issig, arbei­tete als junges Mädchen in Haushalt eines Lehrers in Kirchheim. Eugen, der Sohn des Hauses, ein Medizin­student, verliebte sich in Margarethe und die beiden heirateten. Er wurde Medizinalrat-Direktor und die Ehelaute Laubmeister lebten u.a. in Berlin, Wien und München. Margarethe Issig aus Theilheim war nun Frau Dr. Eugen Laubmeister – wie man damals sagte – und führte einen gut­bürgerlichen Haushalt und ein gesellschaftliches Leben. Ver­mut­lich hat sie in das Koch­buch ihre Rezepte geschrieben.

Auf den ersten Seiten findet sich eine Datierung „Von Onkel und Tante an Weihnachten 1936“. Onkel und Tante Laubmeister waren gern gesehene Gäste in Theilheim. Seit sie ab den 30er Jahren im unterfränkischen Zell a. M. wohnten, half Maria Issig, Margarethes ledige Theilheimer Nichte, neben ihrer Arbeit in der Fabrik auch häufig ihrer Tante in Haushalt. Vermutlich hatte Tante Laubmeister ihre Rezepte für sie notiert und schenkte das Kochbuch Maria Issig zu Weihnachten. Zu wem die weiteren drei Handschriften gehören, bleibt bis auf weiteres ein Geheimnis …

Im Bild markiert: Margarethe Laubmeister und Maria Issig 1960; copyright Rufina Hain

Quelle: Kochbuch von Rufina Hain, geschrieben ab 1936.