Es gibt so viele Kochbücher neue und auch alte, dass mich die Fülle schon manchmal ein wenig überfordert. Man braucht einen Kompass, an dem man sich orientieren kann. Mein Kompass hat mehrere Nadeln. Eine schlägt verlässlich dann aus, wenn es sich um ein Kochbuch einer Gruppe handelt. Sei es der Bayerische Verein für wirtschaftliche Frauenschulen auf dem Lande, der den Vorläufer des Bayerischen Kochbuchs herausgegeben hat oder oder wie kürzlich bei den

Perlen der Kochkunst. Sammlung erprobter Rezepte.

Zum Besten des Vaterländischen Frauen-Vereins,

Sammlung erprobter Rezepte von Nellie von Heimburg,

erschienen bei Köslin, J. Rosenberg & Co

Das Buch besitzt den Charme alter Kochbücher. Ganz in Leinen gebunden mit einem aufwändigen Prägedruck auf der Vorderseite des Covers. Offensichtlich war es begehrt: Es ist bereits die fünfte Auflage, die mir glückliche Umstände in die Hände gespielt haben. Eine „Besondere Ausgabe zum 60jährigen Bestehen des Vaterländischen Frauenvereins vom Roten Kreuz“ von 1926. Die erste erschien 1908.

Ich blättere weiter. Dieses Kochbuch schmückt sich nicht mit stylischen Foodfotos sondern den Namen der Hofküchen des deutschen Kaiserreichs. Es beginnt mit Rezepten der Kaiserlichen Hofküche in Berlin. „Poularden auf indische Art“ ist für 10 Personen gedacht und das erste Rezept aus der Kaiserlichen Hofküche in Berlin Mit Genehmigung Ihrer Majestät der Kaisern und Königin zur Verfügung gestellt. Die Majestät hieß Auguste Viktoria von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg und es ist davon auszugehen, dass sie das Rezept nicht selbst gekocht hat.

Nach der Kaiserlichen Hofküche folgen jeweils Kapitel der Hofküchen in Karlsruhe, Darmstadt, Neustrehlitz, Schwerin, Koburg [sic], Meiningen, Kiel, Bückburg, Detmold, Glücksburg, Altenburg, Greiz, Arolsen, Karlsruhe und Oldenburg. Eine kleine Geschichtestunde zum Thema Föderalismus – den nicht die Bundesrepublik Deutschland erfunden hat. Nach den Hofküchen kommen auf 481 Seiten die Rezepte der Vereinsmitglieder.

Das bemerkenswerte an dem Kochbuch ist nicht seine Ausstattung, auch nicht seine höfischen Rezepte, sondern die Quellenangaben bei jedem, der vom Vaterländischen Verein gesammelten Rezepte. Von den Suppen bis zu der Schlachterei auf dem Lande – jedes Rezept ist mit einem Herkunftsnachweis versehen. Die Aalsuppe hat Frau von Dassel, Exzellenz, Aumühle bei Hamburg beigesteuert. Sie wird mit kalten Rotweinbirnen und separat sauer gekochten Aalen serviert (die ewige Frage: Hamburger Aalsuppe ohne oder mit Aal?). Das letzte Rezept im Buch ist von Frau Waldemann aus Potsdamm: Geräucherten Schinken zu bereiten. Diese Ansammlung von Rezepten mit ihren Zuträgerinnen ist eine ergiebige Quelle für Frauenforschung.

Tatsächlich kenne ich ein vergleichbares Kochbuch von 1912 mit dem eigenwilligen Titel Das muß ich haben. Über 400 Kochrezepte aus Familienkreisen. Die Sammlung des Frauenvereins Dresden besteht aus „gütigst gespendeten Rezeptbeiträgen vieler Gönnerinnen des Vereins“. Weil sie so beliebt war, erschien sie 1931 erneut, „der Reingewinn [wurde] wohltätigen Zwecken zugeführt“.

Liest man die Namen der Gönnerinnen des Vereins und ihre Texte, blickt man erneut in eine andere Welt. Der Radius ist deutlich kleiner. Wir sind in Dresden und es gibt nur eine zu berücksichtigende Hofküche, die Ihrer Königlichen Hoheit, der Frau Prinzessin Johann Georg, Herzogin zu Sachsen. Für die Russische Suppe benötigt man bei 12 Personen u.a. 1 kg Rindfleisch, 500 g Kalbshaxenfleisch, eine Rehhaxe, 250 g Geflügelabfälle, 100 g Rindsnierenfett und 4 l Kalbsbrühe. Nach diesem königlichen Auftakt geht es fast schon gutbürgerlich weiter: Eingelegtes Rindfleisch (bayrisch) von Frau Hofrat Lauterbach und Echt bayerische Leberklöße von Frau Landgerichtsrat Dr. Spitzner.

Die Damen scheinen mitunter um das beste Rezept zu wetteifern – zum Beispiel bei Pillaw. Es treten an Frau Baronin von Malortie, Fräulein Maria Spitzner und Frau General Freifrau von Lindemann. Jede der Damen hat ein eigenes Pilawrezept beigesteuert und es ist an den Köchinnen und Köchen damals und heute den eigenen Favoriten zu wählen.

Diese zwei schönen alten Kochbücher haben Nachfolger. Sie sind meist nicht so wohlgestaltet und verstauben oft kurze Zeit nach dem Erscheinen im Regal. D.I.Y.-Kochbücher, die von Schulklassen oder Vereinen gestaltet und verbreitet werden. Wunderbare Kochbücher, die viel über ihre Zeit aussagen. Auch bei ihnen ist es üblich, neben dem Rezeptnamen die Herkunft anzugeben.

Das Kochbuch einer Kirchengemeinde, die mit dem Erlös die neue Orgel mitfinanzierte, hat es zu einigem Erfolg gebracht: Wos gout is und schmeckt. Rezepte vo Rohr und dou drum rum.

Es ist ein 500-Seiten dickes Kochbuch mit einem Vorwort vom 8.8.1988 und einem Inhaltsverzeichnis, das Register heißt. Auf nahezu jeder Seite findet sich ein von der jeweiligen Rezeptautorin handschriftlich geschriebenes Rezept. Vier verschiedene Gulaschsuppenrezepte nacheinander laden zum Vergleichstest. Die Illustrationen haben selten einen Bezug zum Text, in der Regel sind sie Dekor. Ein brauchbares Rezeptregister freilich suche ich vergebens. Man muss sich auskennen in diesem Kochbuch. Es ist von Insidern für Insider gemacht.

Irgendwo wird sicher gerade jetzt, im Sommer 2021, ein Vereins-, Schul- oder Familienkochbuch gestaltet. Im Lockdown erging der Aufruf einer Lehrerin, eines Enkels oder eines Schriftführers. Die Rezepte wurden gesammelt und sollten als PDF abgegeben werden. Eine gute Alternative zu Vereins- und Familientreffen, vor allem eine langlebige. Wir können uns auf so manches selbstgestaltete Kochbuch aus Coronazeiten freuen. Vielleicht liegt es unter Deinem Weihnachtsbaum im Dezember. In Erinnerung an eine stade Zeit.

Gruppenkochbücher und ihre Anlässe sind Zeitzeugen.