Die Leibspeise vieler Kinder war und ist Milchreis. Auf dem Teller liegt ein weißer körniger Brei obenauf ein Krater voll heißer Butter. Jeder streut nach Belieben Zimtzucker darüber. Den Milchreis gibt es heute fertig in der Tüte. Doch auch in früheren Zeiten war er ein Schnellgericht. Morgens wurde der Reis mit Milch und einer Zitronenschale aufgekocht, dann verschwand der Topf eingewickelt in eine extra Wolldecke im Federbett. Stunden später, schälte man ihn aus Lagen von Federbetten und Decken heraus und siehe da: Der Milchreis war gar.

Zwei Vorteile hatte diese Zubereitung: Der Reis garte nach dem Ankochen ohne Energiezufuhr und unbeaufsichtigt. Diese Garmethode wurde Anfang des 20. Jahrhunderts professionalisiert und in Deutschland unter dem Namen Kochkiste bekannt. Auf französisch wird die Kochkiste marmite norvègienne genannt, norwegischer Kochtopf, nach ihrem Ursprungsland. Wie sieht eine Kochkiste aus? Man nehme eine hölzerne dicht schließende Kiste, kleide sie mit Dämmmaterial aus bis auf Aussparungen für zwei Kochtöpfe. Für die Dämmung verwende man schlechte Wärmeleiter wie Holzwolle, Heu, Zeitungspapier, Stroh, Häcksel oder Torfmull. Fertig ist die Kochkiste.

Die Kiste aus Norwegen

Die Kochkiste verbreitete sich rasch in Europa. 1905 propagierten Lehrerinnen sie in ihren Wanderkochkursen in ganz Bayern und in eigens eingerichteten Kochkistenkursen wurden Menüvorschläge von der Suppe bis zum Dessert in der Kochkiste entwickelt. 1910 pries die Autorin des ersten Dr. Oetker Schul-Kochbuchs E. Henneking die Vorzüge der Koch- oder Heukiste. Sie sei „schon längere Jahre in einzelnen Familien im Gebrauche. Wegen der großen Vorteile, welche sie der Hausfrau bietet, sind die Haushaltungsschulen bemüht, sie überall einzuführen.“ Besonders nützlich sei die Kochkiste für berufstätige Frauen, die wenig Zeit zum Kochen haben und deren Ehemänner mittags ein fertiges warmes Essen in der Kiste vorfänden. Auch sonntags kann die Hausfrau den Braten vor der Kirche anbraten und dank der Kochkiste ist er hinterher weich. Für Henneking stehen die Vorteile der Kochkiste für das Haushaltsmanagement im Vordergrund.

Kochbuch des Bayerischen Vereins für Wirtschaftliche Frauenschulen auf dem Lande [1910]

Kriegskochbuch der Würzburgerin Amelie Sprenger

Wenige Jahre später ist das anders. Im Ersten Weltkrieg veröffentlicht die Würzburger Firma J. B. Deppisch das Kochbuch Kriegs-Kochkurse von Amelie Sprenger. Die Kochlehrerin hatte an der Kochschule des Vereins Frauenheil schon bald nach Kriegsbeginn Kochkurse angeboten, Kriegs-Kochkurse. In ihnen schulte die Hauswirtschaftslehrerin Frauen mit der neuen Situation umzugehen. Lebensmittel gab es mittlerweile nur noch rationiert auf Lebensmittelkarten. Dies traf besonders die städtische Bevölkerung hart. Ebenso musste an Brennmaterial gespart werden. Nun war die Kochkiste vor allem hier hilfreich. „Kriegsküche und Kochkiste gehören zusammen, denn Kriegsküche bedeutet nicht nur Sparenmüssen an Nahrungsmitteln (…), sondern auch ein bewusstes und gewolltes Sparen der deutschen Hausfrau auf allen Gebieten der Küche und somit auch an Holz, Kohlen und Gas.“ Die Preise für die Brennmaterialen stiegen und stiegen.

Sprenger wirbt nicht nur für die Kochkiste, sie liefert auch Bauanleitungen für verschiedene Modelle. Auch ein Kochbeutel für die Fabrik und fürs Feld ist darunter. Freilich kann man auch eine fertige Kochkiste kaufen. „Die besitzende Hausfrau wird leicht für diesen Zweck eine größere Summe anlegen“. Zu sehen sind im Kochbuch verschiedene Kochkisten und passende Töpfe die im Haushaltswarengeschäft Deppisch zu erwerben waren.

Kriegs-Kochkurse von Amelie Sprenger, In: Kochen im Ersten Weltkrieg hg. von Regina Frisch, Würzburg 2018, S.272

Am Ende Ihres Kapitels das Entscheidende: In einer „Vorkoch- und Kochzeit-Tabelle“ erklärt sie die Handhabung der Kochkiste.

Kriegs-Kochkurse von Amelie Sprenger, In: Kochen im Ersten Weltkrieg hg. von Regina Frisch, Würzburg 2018, S. 279

Mit der Kochkiste kochen ist modern

Kochkistenrezepte finden sich in dieser Zeit in vielen Kochbüchern. Das Bayerische Kochbuch verwendet sie von der ersten Auflage 1910 bis in die 60er Jahre. Vier Hinweise listet das Kochbuch 1933 für das Kochen mit der Kochkiste:

  1. die Ankochzeit beträgt endsprechend der Garzeit 5-30 Minuten;
  2. die Garzeit in der Kochkiste ist doppelt so lang wie sonst;
  3. Gerichte in der Kochkiste gar gemacht, aufwerten durch Zugabe von frischer Butter, Rahm oder Beigabe von frischem Salat, Obst usw.;
  4. vor dem Einsetzen in die Kochkiste müssen die Gerichte fertig abgeschmeckt und mit der nötigen Flüssigkeitsmenge aufgefüllt sein; man beachte dabei, dass die Flüssigkeitsmenge sich etwas verringert, da kein Verlust durch Verdampfen entsteht.

Auch die Herrschaftsköchin Marie Buchmeier propagiert diese Kochmethode und versucht alle, die ängstlich vor der Kiste stehen, zu beruhigen:

„Ein Misslingen der Speisen ist in der Kochkiste gänzlich ausgeschlossen, wenn die Speisen in richtiger Weise vorbereitet und genügend durchgekocht sind und bei der Herstellung Kochkiste und beim Einsetzen der Speisen sorgfälligt verfahren wird.“

Großes Praktisches Kochbuch von Marie Buchmeier, Regensburg 1909, S. 707

In diesen Jahrzehnten, in denen die Kochkiste ein für viele unentbehrliches Küchenmöbel war, wurden immer wieder ihre Vorzüge verschieden gewichtet. Viele Jahre stand das Energiesparen im Vordergrund. Aber schon damals war die gesunde Ernährung ein großes Thema und dementsprechend schätzte man die langsame schonende und bekömmliche Garmethode. Ein weiterer Vorteil des Selbstkochers – auch ein Name der Kochkiste – war, dass in ihm nichts anbrennen konnte.

So ist es auch kein Wunder, dass die Kochkiste zur Einrichtung der Frankfurter Küche von Margarete Schütte-Lihotzky gehörte. Die Architektin hatte ihre Küche für die moderne berufstätige Frau der Weimarer Republik entworfen. Die Kochkiste bot ihr ihr die Möglichkeit Kochen und Essen zu trennen und verschaffte ihr die Unabhängigkeit, die sie brauchte. Aus dem gleichen Grund wurde und wird sie in der orthodoxen jüdischen Küche geschätzt. Die Kochkiste ermöglicht auf einfache Weise das Verbot einzuhalten, an Feiertage kein Feuer zu machen oder Strom zu verwenden.

Im Laufe des späten 20. Jahrhunderts kam diese Garmethode aus der Mode. In der fortschrittsbetrunkenen Zeit war Energiesparen kein Argument und für die Unabhängigkeit von Kochen und Essen hatte man die Mikrowelle erfunden. Wer weiß, vielleicht wird sie in unseren Tagen für die moderne Einbauküche wiederentdeckt. Sie ist nachhaltig, energiesparend und auch für’s Niedriggaren geeignet. Ausprobieren kann man die alten Rezepte vorerst mit zwei dicken Plumeaus.

Quellen:
Kochbuch des Bayerischen Vereins für Wirtschaftliche Frauenschulen auf dem Lande, München [1910]
Dr. Oetker Schul-Kochbuch mit einfachen Rezepten für Anfängerinnen von E. Henneking, Lehrerin für hauswirtschaftlichen Unterricht, Bielefeld 1910.
Kochen im Ersten Weltkrieg. Drei Kriegskochbücher aus Bayern hg. von Regina Frisch, Würzburg Königshausen & Neumann 2018.
Marie Buchmeier: Großes Praktisches Kochbuch für die bürgerliche und feine Küchen enthaltend 2076 Kochrezepte nebst einer Anleitung zum Garnieren und Anrichten der Speisen, zum Tischdecken und Serviettenfalten, zum Sterilisieren und Einkochen, sowie zum Gebrauche des Selbstkochers oder der Kochkiste, 6. vollständig umgearbeitete und vermehrte Auflage Regensburg: Habbel [1909].