Aufenthaltsstipendium. Yeah! Von Mitte Januar bis Mitte Februar 2025 hielt ich mich in der Heimvolkshochschule Mariaspring in der Nähe von Göttingen auf.

Jetzt sitze ich wieder im milden Unterfranken. Heute früh lag ein Hauch von Weiß auf den Dächern als wär’s ein Gruß aus Mariaspring. Dort wurde ich Mitte Januar von zwei Schneemännern empfangen. Einer stand auf der Wiese vor dem Grillplatz der Heimvolkshochschule und der andere auf dem Sportplatz um die Ecke. Als ich vier Wochen später wieder fuhr, war die Landschaft wieder weiß verschneit. Es reichte nicht für eine Schneeballschlacht, aber für Matsch auf den Wegen.
Dazwischen lag meine Zeit in Mariaspring.

Vier Wochen alleine in meinem Studierzimmer, das auch mein Schlafzimmer war. Die Möglichkeiten mit meinem Arbeitsplatz im Haus zu wandern und in der Bibliohek oder einem Seminarraum zu arbeiten, habe ich nicht genutzt. Ich hatte mich in den vier Wänden eingerichtet: ein langer Schreibtisch zusammengesetzt aus zwei kleinen Tischen, ein Regal und meine mitgebrachte Yogamatte. Den Tagesablauf strukturierten die Essenzeiten: 8-9 Uhr Frühstück, 12.30 Uhr Mittagessen, 18 Uhr Abendessen. Da ich sonst keine ablenkenden Verpflichtungen hatte, war ich dankbar für dieses zeitliche Korsett und erst recht für das gute Essen!
Mein Gepäck für vier Wochen bestand aus Kleidung, Büchern, Resten des weihnachtlichen Bunten Tellers und meinem Notebook mit den nötigen Daten. Zu den Büchern gehörten Kolonialkochbücher, wenig Fachliteratur, als Schreibanregung Denken/Ordnen von Georges Perec, zur Erholung abends und morgens: Ellenbogen von Fatma Aydemir und das neue Buch von Elke Schmitter Alles was ich über Liebe weiß, steht in diesem Buch. (Der Roman endet mit dem Gedenken u.a. an Rebecca Habermas, der verstorbenen Inhaberin des Lehrstuhls für Geschichte in Göttingen, die die Ausstellung Göttingen kolonial noch angestoßen hat – siehe unten. Eine Koinzidenz: Freizeitlektüre trifft Forschungsanliegen.)
Auf meinem Notebook befanden sich die Daten der Kolonialkochbücher und deren alphabetische Wortregister.

Woche 1 Ich gewöhne mich rasch ein. Im Zimmer verbreitet sich schnell vertraute Unordnung. Das große gute Essensangebot stresst mich am Anfang etwas – ein voller Bauch studiert nicht gern – bald lerne ich damit umzugehen und zu genießen. Mittags ratsche im beim Essen mit dem Team von Mariaspring. Das macht Freude und bewegt die Stimmbänder. Am Schreibtisch warten die Wortregister auf mich. Sie sind alphabetisch sortiert mit Häufigkeitsangebe der tokens:

Abendessen   (16)
Abendmahlzeit   (3)
Abendportion   (1)
abends   (40)
Abendsonne   (1)
aber   (185)
Abfall   (2)
Abfälle   (4)
Abfällen   (1)
Abfallkiste   (1)

Das ist ein klitzekleiner Auszug basierend auf dem Kochbuch von Antonie Brandeis. Den Beleg Abfällen will ich kontrollieren und lese ihn nach: „Von den Knochen und Abfällen kocht man dann eine kurze Brühe, die zur Sauce Verwendung findet.“ Alles klar – passt. Um die vielen Daten in den Griff zu kriegen, lege ich verschiedene Dateien an, eine mit Personenbezeichnungen, eine mit Zutaten und eine mit Kücheninventar. Die Durchsicht der Register ist ermüdend – aber ertragreich. Sie schafft einen neuen Zugang zu den Texten und bringt mich auf eine Idee, wie ich den geplanten Text angehe.
Uns sonst? Mein erster Besuch in Göttingen. Hübsche Stadt mit viel Leben in den Straßen. Ich besuche die Ausstellung Göttingen kolonial im Städtischen Museum. Toll! Das sollten sich mal andere Städte zum Vorbild nehmen. Neben den vielen Exponaten mit erklärender Hintergrundrecherche ist ein Stadtplan mit allen Kolonialwarenläden um 1900 und vielen unbekannten kolonialen Bezugspunkten ausgestellt. Die gibt es sicher in jeder deutschen Stadt; man denke nur an die Missionsarbeit im Kontext des Kolonialismus.

Woche 2 Ich fange an zu schreiben. Vorgenommen habe ich mir das Verhältnis der Kolonisten zu den Kolonisierten zu erkunden. Wie spiegelt es sich in den Kolonial-Kochbüchern?
Jeden Tag mache ich einen Spaziergang. Mittlerweile nur noch auf Asphalt, da der Schnee geschmolzen ist und die Wege matschig sind. Abends höre und sehe ich Nachrichten und bin fassungslos, was im Bundestag passiert.

Woche 3 Weiterschreiben. Es läuft. Am Donnerstag halte ich einen Vortrag im Städischen Museum Göttingen: Zebuhöcker, Flußpferdspeck und Rote Grütze von Mango. Kolonialgeschichte aus der Küchenperspektive. Die Präsentation habe ich zu Hause gemacht. Ein paar Ergänzungen muss ich noch einbauen.
Freitag. Der Vortrag ist rum: Ich bin ganz begeistert von dem interessierten kundigen Publikum. Interessante Fragen, die mir auch ein inhaltlicher Anstoß waren.

Das Wochenende verbringe ich bei einer Freundin. Eine notwenige Pause für den Kopf.

Woche 4 Ich lese was ich bisher geschrieben habe, korrigiere und schreibe weiter. Fange ein neues Kapitel an und beschränke mich erstmal auf den Rohbau, da ich nicht weiß, wie weit ich noch damit hier in Mariaspring komme. Am Donnerstag trinken Team und ich Kaffee und Kuchen zusammen: Vielen herzlichen Dank für die gute und freundliche Aufnahme! Freitag komme ich zum Schluss. Sortiere meine Unterlagen und mich. Samstag packe ich und freue mich auf die Heimfahrt. Ade Mariaspring!

Überraschung Vom Aufenthaltsstipendium erwartete ich mir vor allem die Möglichkeit für konzentriertes einsames Arbeiten. Umso überraschter war ich von den Gelegenheiten zum Netzwerken in dieser Zeit. Da war zuerst mein Gastgeber, die Bildungseinrichtung Mariaspring, bei dem ich im Team interessante neue Menschen kennenlernte. Eine sehr fruchtbare Zusammenarbeit ergab sich mit Claudia Blaue, die die Bibliothek der ehemaligen Deutschen Kolonialschule Witzenhausen leitet. Beim Vortrag im Städtisches Museum Göttingen durfte ich viele interessante Kontakte knüpfen. Und endlich durfte ich Johanna Strunge persönlich kennenlernen, auf die ich durch ihren bemerkenswerten Zoom-Vortrag zu musealen Kolonialwarenläden im Linden Museum Stuttgart im Februar 2022 aufmerksam geworden war.

Rückblick Es waren ertragreiche vier Wochen in Mariaspring. Vier Wochen sind lang und kurz zugleich. Ich habe mir immer gesagt carpe diem: nutze die Zeit! Diese Gelegenheit kommt wohl nicht wieder. Dieser Druck ist inspirierend und stressig zugleich. In der zweiten Woche war ich an einem Tag euphorisch und am nächsten frustriert und dann wieder zufrieden. Nach vier Wochen brauchte ich eine Pause und die habe ich jetzt. Doch den flow dieser Zeit nehme ich mit!
Wer weiterlesen will – hier ist ein Gespräch zwischen David Kreitz und mir verlinkt.
Danke für die Gelegenheit des Aufenthaltsstipendiums, Heimvolkshochschule Mariaspring!

Landschaft mit Hinweisschild auf dem steht Heimvolkshochschule Mariaspring

Weitere Fotos aus der Zeit hier. Die Rechte der Fotos liegen bei mir.